Ein Vorwort von Sibylle Berg

Je verwirrender die Welt scheint, um so stärker wird dem Menschen die Sehnsucht nach einer Ordnung. Nach einer Einordnung. Nach anderen Menschen, die ihm Ideen, Anregung und Halt geben. Die ihm Leuchtturm sein können, in der immer wiederkehrenden, scheinbar schrecklichsten aller Zeiten.

Verständlich also die Bemühung vieler vornehmlich männlicher Menschen, per Ansagen, Listen und Systemen ein Geländer in die Welt zu bauen. Am besten in einem Kanon, denn das klingt in den Boden zementiert, allgemeingültig für Generationen und macht den Kanon zum Schrift gewordene Flehen um Unsterblichkeit.

Es ist menschlich, sich an dem zu orientieren, was vertraut scheint, nachvollziehbar, dass alle Kanons der letzten Jahrzehnte und die darin enthaltenen Namen aus Kunst und Wissenschaft vornehmlich das gleiche Geschlecht hatten wie die Verfasser der sorgsam erstellten Listen. Die Einordnung, also immer auch ein wenig Aneignung, der Welt durch Männer ist lobenswert, jedoch – überholt. Nach Hunderten von Jahren, nach Tausenden empfohlener Werke, Gedanken und Schriften können wir heute zu dem Schluss kommen, dass das Experiment, die Welt durch Zuhilfenahme von Ordnungssystemen die vornehmlich männliche Geistesgrössen auflisten, zu einem freundlicheren und erfreulicheren Ort zu machen, fehl schlug. Denn trotz dieser ohne jeden Zweifel trefflichen Werklisten ist es nicht so, dass der Mensch sich vehement weiterentwickelt hätte.

Darum ist es Zeit für eine neue Liste, die wir nach intensiven Studien der Lehrpläne und Feuilletons, in denen wir kaum einen der aufgeführten Namen gefunden haben, erstellt haben: Neue Namen mit Ideen und der Kompetenz, die vielleicht etwas zu einem freundlicheren Miteinander in der Welt beitragen können. Oder die auch einfach nur für mindestens die Hälfte der Bevölkerung etwas mehr Relevanz haben. Unser Kanon, um dieses weihevolle Wort zu verwenden, ist unvollständig und subjektiv, wie diese Auflistungen immer sind, aber es ist ein Anfang:

Wenn alte System versagen, ist es vielleicht an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren.

P.S.: Der Kanon ist weiblich. Also – die Kanon. Viel Freude damit.

Das sind wir:

Sibylle Berg lebt in Zürich und ist eine der meistgelesenen deutschsprachigen Autorinnen. Ihr Werk umfasst 21 Theaterstücke, 14 Romane und wurde in 34 Sprachen übersetzt. Sie schreibt Essays und ist Gründungsmitglied der pep Genossenschaft, die Privatsphäre in der digitalen Welt mit technologischen Mitteln schützt. Foto: Joseph Strauch
Simone Meier lebt in Zürich, ist Kulturredakteurin beim Newsportal watson.ch und Schriftstellerin. Ihr dritter Roman «Kuss» erschien 2019 bei Kein & Aber. Bild: Dominique Meienberg/ Kein&Aber
Nicole Schöndorfer ist freie Journalistin in Wien. Sie studierte Publizistik, Anglistik und Journalismus und beschäftigt sich mit feministischen und gesellschaftspolitischen Themen.
Nana Karlstetter studierte Philosophie, Mathematik und Psychologie und promovierte in Wirtschaftswissenschaften. Seit 2013 arbeitet sie als Projektentwicklerin an Projekten für eine zukunftsfähige Transformation unserer Gesellschaften.
Margarete Stokowski studierte Philosophie und Sozialwissenschaften und arbeitet seit 2009 als freie Autorin. Von 2012 bis 2015 schrieb sie die feministische Kolumne «Luft und Liebe» in der taz. Ihr Sachbuch «Untenrum frei» erschien 2016 im Rowohlt Verlag. Foto: Rosanna Graf
Laura Ede studierte Geschichte und Soziologie u. a. in Berlin und arbeitet als Historikerin und freie Journalistin im Raum Hannover. Foto: Theresia Reinhold
Julia Pühringer ist Journalistin und schreibt über Bewegtbild.
Jelena Gučanin lebt und arbeitet als Journalistin in Wien. Studierte Kultur- und Sozialanthropologie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Zurzeit ist sie beim Frauenmagazin «Wienerin» tätig, davor schrieb sie u.a. für DerStandard.at und das Wirtschaftsmagazin «Format».
Hedwig Richter ist Historikerin an der Universität der Bundeswehr München.
Brigitte Theißl arbeitet als Redakteurin beim feministischen Magazin «an.schläge» und als freie Journalistin in Wien.
Theresia Reinhold studierte Geschichte und arbeitete als freie Filmemacherin. Gegenwärtig arbeitet sie als Media & Policy Advisor im Europäischen Parlament.